Aus der Geschichte der Jugendarbeit in Moritzburg und Rödern
Das Diakonenhaus Moritzburg e.V. verfügt über eine lange Tradtion der Jugendarbeit. Ehemals in Dresden-Gorbitz gegründet zog das Diakonenhaus Moritzburg und seine sozialen Einrichtungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach Moritzburg und schuf dort eine große Jugenhilfeeinrichtung. In Folge kam es immer wieder zu Erweiterungen der Arbeitsfelder und der Standorte.
Einen ersten Einschnitt erfuhr die Jugendarbeit des Diakonenhauses mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten, in deren Folge kirchliche Einrichtungen ihre Erziehungsarbeit einstellen mußten. Auch in der Zeit bis 1989/90 konnte die Tradition der Jugendarbeit in dieser Form nicht wieder entstehen. Erst mit dem Jahre 1990 konnte das Diakonenhaus Moritzburg wieder in der Jugendhilfe arbeiten und entsprechende Einrichtungen in Moritzburg betreiben.
Ein Projekt für arbeitssuchende Menschen, insbesondere auch Jugendliche war 1998 die Gründung der Produktionsschule Moritzburg als ein Arbeitszweig des Diakonenhauses. Für die Produktionsschule Moritzburg und ihre Arbeitsfelder konnten schließlich auch wieder Teile der alten Liegenschaften des Diakonenhauses in Moritzburg und Rödern genutzt werden, welche schon vor 1933 für die Jugendarbeit zur Verfügung standen.
Im Jahr 2004 erfolgte schließlich die Ausgründung des Arbeitszweiges in die Produktionsschule Moritzburg gGmbH.
Wie sich die Situation der Jugendhilfe des Diakonenhauses Moritzburg zu Beginn des 20. Jahrhunderts darstellte, möchten wir Ihnen gerne mit den Beschreibungen des damaligen Vorstehers, Pastor Hermann Schmidt, vorstellen:
Rettungshaus Moritzburg für schulpflichtige Fürsorgezöglinge, Röderhof und Eichhof, Niederrödern, für konfirmierte Burschen, Steinbacherhof in Steinbach für schwer erziehbare und geistig anormale Burschen
Das Rettungshaus Moritzburg wurde gegründet im Jahre 1872. Schon vor dem deutschfranzösischen Kriege sollte es in Verbindung mit der sächsischen Brüderanstalt und als Arbeitsfeld für die hierausgebildeten Diakonen ins Leben treten. Dieser Plan wurde jedoch zunächst durch den Ausbruch des Krieges verhindert.
Erst nach diesem haben Männer, wie der spätere Finanzminister von Watzdorf, Oberkonsistorialrat Rüling und der Vereinsgeistliche des Landesvereins für Innere Mission, Pastor D. Hickmann, mit 200 Talern in den Händen das erste kleine Anwesen mit 5 Scheffeln Garten und Feld in Obergorbitz bei Dresden für 5200 Taler gekauft.
Seit der Gründung durch 36 Jahre hindurch wurde es bis zu dessen Emeritierung von dem verdienten Pastor Emil Höhne geleitet. Langsam, aber stetig entwickelte sich die Anstalt, so daß ein Haus um das andere gekauft oder gebaut werden mußte. Am 1. Advent 1873 wurde das zweite Knabenhaus eingeweiht. Eine angrenzende Baumschule von 7 1/2 Scheffel wurde am 1.März 1876 für 14500 Taler erworben, zu welcher noch ein kleines Hausgrundstück für 2400 Taler hinzukam. Dieses letztere, die Friedenshütte, brannte am 24. April 1877 nieder. Dies Unglück wurde für uns der Anlaß zu besonderer Erfahrung werktätiger Nächstenliebe.
Von Anfang an hatte das Unternehmen mit den größten Schwierigkeiten zu kämpfen.
Die Geldmittel waren außerordentlich bescheiden, aber die Worte des 23. Psalms, der der Hauspsalm geworden ist: "Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln"; sind stets in Erfüllung gegangen. Es ist auch vorgekommen, daß der Vorsteher nur noch einen Zweipfenniger und eine Groschenmarke in den Händen gehabt hat; zu gleicher Zeit aber kamen die ersten großen Gaben, 500 M.von einer unbekannten Wohltäterin und im nächsten Sommer nochmals 15000 M. von derselben lieben Hand mit der Bestimmung, daß der Bau sofort in Angriff genommen würde. Eine erblindete englische Dame war die Geberin, die zu diesen Summen außerdem noch einmal 3000 M. spendete, so daß das Gorbitzer Hauptgebäude mit Schule und Kapelle, Wohnung für eine Knabenfamilie und für die Hauseltern errichtet werden konnte.
Dieses Hauptgebäude hatte aber nur einen Flügel, den andern ließ Herr Kammerherr Baron von Burgk als guter und getreuer Nachbar auf seine eigenen Kosten errichten, so zwar, daß wir eine Zeitlang die Zinsen bezahlten, er uns dann die Zinsen erließ und testamentarisch endlich auch auf das Kapital verzichtete, zu welchem er noch 500 M. im baren Gelde hinterließ. Herr Baron von Burgk und seine Frau Gemahlin haben überdies durch ihre reichen Gaben auch dazu beigetragen, die Anstaltskapelle mit dem würdigen Schmuck und den heiligen Gefäßen zu versehen.
So umfaßte die Anstalt in Gorbitz zwei Mädchenfamilien und drei Knabenfamilien von durchschnittlich 12-15 Kindern. Der Gottesdienst wurde von dem Vorsteher, der Unterricht von diesem und einem Kandidaten gehalten.
Eine große Schwierigkeit offenbarte sich je länger je mehr darin, daß der Raum in Obergorbitz zu eng wurde. Quer durch das Anstaltsgebäude zog sich die Ortsstraße.
Auf der einen Seite hoch über dem Straßenkörper lagen die Knabenhäuser, auf der anderen Seite in einem kleinen Tal hatten die Mädchen ihre Wohnungen.
Jahrelang wurde gesucht nach einem Ort, wo man sich neu ansiedeln konnte, bis sich in Moritzburg am Nordende der Dresdener Heide in nächster Nähe des königlichen Jagdschlosses ein Gelände fand, das den Ansprüchen vollständig genügte.
Die alte Anstalt wurde an die Gemeinde Gorbitz verkauft zugleich mit dem Bauerngut, welches in den letzten Jahren in Oberpesterwitz erworben worden war, um halbe Kräfte nutzbringend zu beschäftigen. Im Jahre 1898 wurden in Moritzburg zu den schon vorhandenen zwei Wirtschaftsgebäuden und der Scheune 6 neue große Gebäude aufgeführt. Auf dem Knabenberge entstanden das Hauptgebäude mit Kirche, 4 Schulzimmern, der Wohnung eines Geistlichen, 2 Knabenhäuser für je 2 Familien, so daß jede Familie ein in sich vollständig abgeschlossenes Ganzes bewohnt mit eigenem Eingang, Wohnzimmer, Nebengelaß und Schlafsaal.
Nach dem Königlichen Schloss zu gelegen, wurden errichtet das Mädchenhaus für 2 Familien, Wohnungen für verheiratete Gehilfen im Wirtschaftsgebäude samt 2 Speisesälen, Wirtschaftsräumen, Waschküche, Motorraum, Kellern und Ställen, und das Haus des Anstaltsvorstehers mit den Geschäftsräumen.
Das Fürsorgegesetz hat dem Hause Anlass zu energischer Weiterentwicklung gegeben. Die Zahl der nichtkonfirmierten Zöglinge, die im Jahre 1908 85 betrug, ist bis auf 170 gestiegen, und zwar sind es hauptsächlich Knaben. Die Folge davon war, daß die Knabenhäuser 1910 mit 3 Familien belegt werden mußten, die außerdem auch der Zahl nach eine Steigerung erfuhren. Ein älteres Haus wurde als Erziehungsgebäude eingerichtet. Neu gebaut wurde den Knabenhäusern heraus verlegten Brüder ein neues Brüderhaus, in dem die Pfleger sowohl für die hiesige Anstalt, wie auch für zahlreiche andere Anstalten im ganzen Königreich Sachsen ausgebildet werden, sowie ein neues Krankenhaus. Erworben wurde 1910 in Niederrödern bei Radeburg ein ca. 90 Scheffel großes Bauerngut, welches innerlich umgebaut und durch Neubauten vergrößert eine landwirtschaftliche Station für 52 konfirmierte Fürsorgezöglinge darstellt. Hierzu ist im Jahre 1912 noch ein zweites Gut von 72 Scheffel Größe in Niederrödern gekauft worden, dessen Gebäude als Handwerkerhaus eingerichtet, für 24-30 konfirmierte Zöglinge Raum bieten wird, während wir das landwirtschaftliche Areal zum Röderhofe schlagen. Endlich ist im März 1912 ein viertes Gutsgrundstück in Steinbach mit mehreren Gebäuden, etwa 82 Scheffel groß, erworben worden, welches nach angemessenem Umbau 2 Stationen aufnehmen soll. Zunächst eine Isolierstation für schwierigere Burschen, denen das Entweichen erschwert werden muss, damit sie sich nicht selbst wieder schädigen, indem sie auf ihren Wanderfahrten Unrecht begehen und eine weitere Station für Psychopathen, die besonderer Pflege bedürfen. Diese beiden letzten Abteilungen werden in kleinste Familien aufgelöst, so daß die persönliche Pflege so intensiv wie nur möglich sein wird. Mit diesen Ankäufen ist der Grundbesitz auf rund 300 Scheffel (75 Hektar) angewachsen.
In den ersten 36 Jahren seines Bestehens bis 1908, unter der verdienstvollen Leitung des P. Emil Höhne, ist das Rettungshaus bis zu einem Bestand von 85 Zöglingen angewachsen. Mit dem Dienstantritt des P. Schmidt, des jetzigen Vorstehers der Erziehungsanstalten, zeigt die Anstalt unter dem Einfluß des Fürsorgeerziehungsgesetzes einen numerisch sehr starken Fortschritt. Am 31.10.1908 waren es 85, am 31.12.1908 98, am 31. 12. 1909 114, am 31.12.1910 190, am 31. 12. 1911 210 Zöglinge.
Hierzu kommen noch vertragsgemäß 1912 50 konfirmierte Burschen.
Die Erziehung unserer Fürsorgezöglinge wird auf dem Boden des Wichernschen Familiensystems durchgeführt, unter dem Einfluß von Gottes Wort, fester, fröhlicher Arbeit in Geduld und Liebe. Mehr durch Vorbild als durch Reden. Neben der Rute liegt der Apfel, aber körperliche Strafen sind nur möglich, wenn der Vorsteher sie schriftlich erlaubt, sofern er in väterlicher Pflicht, sie nicht selbst vollzieht! Die Familien bestehen gewöhnlich aus 15 Zöglingen, die jedoch je nach Bedürfnis erhöht werden können, da wir neben dem Familienbruder, der der Leiter und das Oberhaupt der Familie ist, in der Regel noch einen Assistenten haben, so daß also auf höchstens 10 Zöglinge ein Erzieher zu rechnen ist. Dieses Familiensystem wird gleichzeitig so durchgeführt, daß die halbe Familie eine Arbeitsgemeinschaft darstellt, welche nach Möglichkeit bei der Arbeit in Garten und Feld und auch bei den Handwerken geschlossen verwendet und von dem zuständigen Erzieher geleitet wird. Die Pfleger und Erzieher teilen mit den Kindern denselben Schlaf- und Wohnraum, essen mit ihnen an demselben Tisch und fast regelmäßig auch dieselbe Kost.